Der Traum vom Frieden
Am 25. September 2001 hält der russische Staatspräsident Wladimir Putin eine stark bejubelte Rede im Deutschen Bundestag. Er bestätigt das Ende des kalten Krieges und hinterlässt den Eindruck, es könnte eine neue Ära gegenseitigen Vertrauens zwischen Russland und den ehemaligen Gegnern im Kalten Krieg entstehen. Kurz benennt er auch Streitpunkte mit der NATO. Für Russland selbst verkündet er den Aufbau einer demokratischen Gesellschaft und die Entwicklung der Marktwirtschaft.
In Russland entstanden tatsächlich marktwirtschaftliche Strukturen, die allerdings sehr stark staatlich kontrolliert werden. Kritiker sprechen sogar von einem staatlichen Monopolkapitalismus, der stark durch die Rohstoffwirtschaft geprägt sei.
Das derzeitige politische System in Russland gilt als ein autoritäres System mit der Besonderheit förmlich fortbestehender demokratischer Einrichtungen, die demokratische Verhältnisse lediglich vorspiegeln. Kritische Beobachter sprechen daher von einer simulierten Demokratie. Aufgrund der Ausrichtung des Systems auf den Präsidenten Wladimir Putin bei Schwächung anderer Institutionen auch von einem personalistischen autoritären Regime. Wirkliche demokratische Grundrechte gibt es nicht.
Wie hat sich seit 1990 das Verhältnis zwischen Russland und der NATO entwickelt?
Während der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen zur deutschen Einheit war die Osterweiterung der NATO kein Thema, da es lediglich um Deutschland ging und der Warschauer Pakt noch existierte. Der deutsche Außenminister Genscher und einige andere Politiker brachten zwar Überlegungen ein, eine Ausdehnung der NATO nach Osten auszuschließen, konnten sich aber nicht gegen Präsident Bush und Kanzler Kohl durchsetzen. Gorbatschow sprach das Thema auch nicht mehr an und stimmte zu, im Verhältnis zum Westen von einer konfrontativen zu einer kooperativen Politik zu gelangen.
Bereits 1991 gründet sich der transatlantische Kooperationsrat zwischen den NATO-Ländern und den ehemaligen Warschauer Pakt- und den GUS-Staaten. Und 1997 unterstreicht die Nato-Russland-Grundakte den Willen beider Seiten zur Kooperation. Festgehalten werden darin die gegenseitige Achtung der Souveränität, Unabhängigkeit, territorialen Integrität sowie die Unverletzlichkeit der Grenzen. Das festgehaltene Selbstbestimmungsrecht aller Staaten beinhaltet logischerweise auch das Recht dieser, einem Bündnis beizutreten.
Die Verabschiedung der Grundakte bildete die Grundlage für den Beitritt insbesondere der baltischen Staaten zur NATO 2004. Auf einer Pressekonferenz am 2. April 2004 mit dem deutschen Bundeskanzler Schröder begrüßte Putin den Beitritt dieser Länder und lobte die positive Entwicklung der Beziehungen Russlands zur NATO. Er sah auch durch die NATO-Erweiterung die Sicherheit der Russischen Föderation nicht gefährdet. Gegenüber dem NATO-Generalsekretär äußerte er kurze Zeit später in Moskau, dass jedes Land das Recht habe, seine eigene Form der Sicherheit zu wählen.
Aufgrund eigener leidvoller Erfahrungen, von Krieg, Besetzung, Massenmord, ethnischen Säuberungen und politischer Unterdrückung, insbesondere durch die ehemalige Sowjetunion, drängten die Bewohner Polens und der baltischen Staaten auf einen raschen Beitritt zur NATO. Es war die freie Entscheidung der Völker, dies zu tun. Die NATO war und ist kein imperiales Gebilde, welches sich erweitert. Sie ist ein Bündnis für kollektive Verteidigung, Krisenprävention und -bewältigung sowie kooperativer Sicherheit. Die NATO versteht sich zudem als Wertegemeinschaft, die sich auf Frieden, Demokratie, Freiheit und die Herrschaft des Rechts stützt. Warum sollten diese nunmehr in Freiheit und zunehmendem Wohlstand lebenden Völker Russland angreifen?
Was Putin wirklich Angst macht
Russland ist ein rohstoffreiches Land, dass zwar über eine starke Militärtechnologie verfügt, aber in anderen technologischen Bereichen, insbesondere bei der Halbleiterfertigung und der Digitalisierung hinterherhinkt und von Importen abhängig ist. Eine friedliche Kooperation mit dem Westen, die es in Ansätzen gab, würde beiden Seiten nützen. Der Westen erhält Rohstoffe und Russland Technologie.
Warum scheiterte dieser Deal? Unter Putin hat sich Russland zu einer Autokratie mit teils deutlichen Einschränkungen freiheitlich-demokratischer Grundrechte entwickelt. Mit Sorge beobachtete er deshalb das Schwinden des russischen Einflusses auf wirtschaftliche und politische Entwicklungen in Nachbarländern, den Sturz russlandfreundlicher Regierungen (Rosenrevolution in Georgien 2003 und Orange Revolution in der Ukraine 2004) und die Annäherung an westliche Wertevorstellungen. Als Autokrat fürchtet er, dass auch die eigene Bevölkerung einen Kurswechsel in Richtung Pluralismus, Demokratie und Rechtsstaat fordern könnte.
Innenpolitisch unter Druck reagiert der Despot verstärkt mit Patriotismus und Nationalismus. Die Schuld für den Bruch der Beziehungen zum Westen sah und sieht er zunehmend in einer angeblichen Bedrohung durch die NATO und deren Osterweiterung. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 schlägt er einen verstärkt aggressiven Ton an und wirft dem Westen und der NATO eine rücksichtslose Haltung und das Ignorieren russischer Interessen vor.
Westliche Führer haben aber auch den Fehler gemacht, Russland das Gefühl zu geben, keine Weltmacht, sondern nur noch eine Regionalmacht zu sein. Durch den Untergang der UdSSR, die Ausdehnung des westlichen Einflusses in ehemalige sowjetische Gebiete und das Erstarken der Weltmacht China sah sich Russland in seiner Weltmachtposition bedroht. So sehen es Putin und sein militär-industrieller Komplex. Sie brechen in Panik einen Krieg gegen die Ukraine los (2014/2022), den sie möglicherweise als letzte Chance der Geschichtskorrektur ansehen. Es geht um Raum für ein großes Imperium, ob nun als ehemaliges Sowjetreich oder als russisches Großreich. Putin möchte auch die Dominanz westlicher Staaten in Politik und Wirtschaft beenden, wie er wiederholt öffentlich erklärte.
Verhandlung versus Abschreckung
Wiederholt steht der Vorwurf im Raum, dass Waffenlieferungen an die Ukraine Verhandlungen über ein Kriegsende verhindern würden. Auch hätten die USA und deren Verbündete die Ukraine daran gehindert, Frieden zu schließen. Der Westen würde die Konfrontation mit Russland suchen, um die eigene Dominanz zu sichern. Diese Lügen verbreitet Putin, wie auch jene über eine Vereinbarung zum Thema Osterweiterung der NATO.
Kann es Frieden durch Verhandlung geben? Die Geschichte zeigt, dass Kriege enden, wenn beide Seiten erschöpft sind oder eine der anderen die Bedingungen aus einer Überlegenheit heraus diktieren kann. Der völkerrechtswidrige Krieg gegen die Ukraine kann durch Russland beendet werden, wenn es die Angriffe einstellt.
Nicht nur die letzten Tage und Wochen haben gezeigt, dass Putin und sein Regime nach der Umstellung des gesamten Landes auf Kriegswirtschaft nur überleben, wenn der Krieg weitergeht. Alternativ wollen sie einen Diktatfrieden, der nicht nur zu Gebietsabtretungen seitens der Ukraine führen wird, sondern diese in einen Vasallenstaat verwandeln würde. Am 20. Juni 2025 erklärt Putin auf dem St. Petersburger Wirtschaftsforum, dass Russland die ganze Ukraine gehöre, weil Russen und Ukrainer ein Volk seien. Auf die Frage, wie weit die russischen Truppen noch vorrücken würden, erwiderte Putin: "Es ist kein Sprichwort, kein Gleichnis, sondern eine alte Regel: Wo der Fuß eines russischen Soldaten hintritt, das gehört uns."
Das russische Regime will weiterhin einem Waffenstillstand nur zustimmen, wenn seine Maximalforderungen erfüllt würden. Diese beinhalten inzwischen nicht nur die Einstellung der westlichen Hilfe, sondern auch die Zerstörung der westlichen Waffen. Wer dies fordert oder unterstützt, verkennt, dass die Ukraine nicht das eigentliche Ziel ist. Wie bereits beschrieben, geht es Putin um eine neue Weltordnung nach seinen Regeln.
Mit seinem Krieg hat er aber nur das Gegenteil erreicht. Die totgesagte NATO ist zu neuer Stärke erwacht und arbeitet entschlossen an der Abschreckung von Aggressoren. Traditionell neutrale Länder wie Schweden und Finnland traten der NATO bei, weil sie um ihre Sicherheit besorgt waren.
Was bleibt vom Friedenstraum?
Er kann nur in Erfüllung gehen, wenn der Aggressor keine Siegchancen mehr sieht oder wirtschaftlich die Kosten des Krieges nicht mehr tragen könnte. Alternativ könnte auch die eigene Bevölkerung nicht mehr in der Lage sein oder willens, die Kriegslasten zu tragen.
Die freien Völker der freien Welt sollten ihre Lasten weiterhin tragen, damit aus dem Friedenstraum kein Albtraum wird. Wenn wir nicht entschlossen der Aggression gegen Demokratie und Freiheit entgegentreten, dann wird der Aggressor auch nicht an unseren Grenzen Halt machen.
Quellen und Literaturhinweise:
www.der pragmatismus.com
Mary Elise Sarotte: Nicht einen Schritt weiter nach Osten. Amerika, Russland und die wahre Geschichte der Nato-Osterweiterung. München 2023
Michael Thumann: Revanche. Wie Putin das bedrohlichste Regime der Welt geschaffen hat. München 2023


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